Henning Mankell: Die schwedischen Gummistiefel

Auch Menschen haben Tragebalken, die zerbrechen

Mag sein, dass ein Teil meiner Begeisterung für dieses Buch einerseits meiner Verehrung für Henning Mankell und andererseits meiner Liebe zu Schweden und zur Schärenlandschaft geschuldet ist. Mankells Tod im Oktober 2015 hat mich erschüttert und das Wissen, hier seinen letzten Roman in Händen zu halten, der von so tiefer Melancholie durchzogen ist, hat mich stark bewegt. Die Themen Einsamkeit, Alter und Tod stehen im Mittelpunkt, viel mehr als die eigentliche Handlung, und mit dem Wissen um Mankells schwere Erkrankung lesen sich die Gedanken und Gefühle seines Protagonisten Fredrik Welin mit einer selten empfundenen tiefen Intensität.

Fast alle Bücher von Henning Mankell haben mich begeistert, seine Wallander-Krimis natürlich, seine Kinderbücher und von seinen Afrika-Romanen vor allem Der Chronist der Winde. Besonders gut gefallen hat mir aber Die italienischen Schuhe, erschienen 2006, der Roman über einen einsamen älteren Chirurgen, der sich nach einem nicht wiedergutzumachenden Kunstfehler auf eine Schäreninsel zurückzieht und dort noch einmal mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Nun hat Mankell als letztes Buch eine Fortsetzung dazu geschrieben, die acht Jahre später spielt und auch unabhängig gelesen werden kann.

Fredrik Welin, der mittlerweile 70jährige Schäreneremit, verliert in einer Nacht zu Beginn des Romans durch den Brand seines Hauses nahezu seinen ganzen Besitz. Retten kann er lediglich zwei linke Gummistiefel. Er ist ein alter, gebrochener Mann, der sich verzweifelt bemüht, neue schwedische Gummistiefel zu kaufen, wie man sie früher an jeder Ecke bekommen konnte, und der die chinesischen Produkte, die sich überall ausgebreitet haben, zutiefst ablehnt. Er, der „die neue Zeit“ in seinen Augen nur noch wird „streifen können“, fragt sich, ob sich ein Neuanfang, ein Neubau seines großelterlichen Hauses überhaupt noch lohnt. In seinen Gedanken hängt er mehr der Vergangenheit nach, jeder noch so kleine Anlass löst Erinnerungen an seine Großeltern, seinen Vater, seine Jugend aus, und die Angst vor körperlichem und geistigem Verfall, vor Siechtum und Tod lähmt ihn.

Doch Welin bleibt auf seiner Insel, haust in einem alten Wohnwagen und einem Zelt, trifft eine jüngere Journalistin, in die er sich zu verlieben glaubt, immer in der Hoffnung, dem Alter damit ein Schnippchen zu schlagen. Und dann ist da noch seine Tochter Louise, von deren Existenz er erst wenige Jahre zuvor erfahren hat, und die er kaum kennt. Mit ihr, der mir unsympathischsten Figur in einem Roman, in dem es kaum mir wirklich sympathische Figuren gibt, auch nicht Welin, kommt ein Stück Lebensmut zurück und der Entschluss zum Neubau.

Im letzten der vier Kapitel, von denen eines Welin zur Rettung seiner schwangeren Tochter sogar nach Paris führt, finden sich dann deutliche Spuren des begnadeten Krimiautors Mankell, wenn es um die Suche nach dem Brandstifter geht. Der hat inzwischen dreimal zugeschlagen und Welins Gedankengänge haben mich frappierend an Kurt Wallander erinnert.

Ein für mich großartiges Abschiedsbuch voller Melancholie, voller grandioser Naturbeschreibungen und den tröstlichen Schlusssätzen:

„Mittlerweile war es spät im August.
Bald würde der Herbst kommen.
Aber die Dunkelheit schreckte mich nicht mehr.“

Henning Mankell: Die schwedischen Gummistiefel. Zsolnay 2016
www.hanser-literaturverlage.de

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